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Leben in verschiedenen Welten

Auszug aus einem Reisebericht im RegioMix
von meiner Frau Ruth

Es ist kaum auszuhalten. Dieser dunkele Nachmittag! Es ist erst 4 Uhr und dabei könnte man glauben, der Abend sei schon angebrochen. Unmutig zünde ich mir eine meiner neu erstandenen Duftkerzen an und sehne mich, während ich die warme Flamme betrachte, zurück in sonnige Zonen mit blauem Himmel und vor Hitze flimmernder Luft. Gerne will ich Sie, liebe Leserin und lieber Leser, teilnehmen lassen an den Erlebnissen der vergangenen Wochen.

Lange sah es aus, als könnten wir nicht wie früher geplant, den Jahresanfang 2002 bei unserem Sohn Simon, der Schwiegertochter Franziska und der Enkelin Noemi in Gambia, Westafrika feiern. "Sabena", die einzige interkontinentale Fluggesellschaft, die von Brüssel direkt nach Gambia folg, existierte nicht mehr. Endlich fand mein Mann via Internet ein günstiges Angebot. Air Monach fliegt regelmässig von Gatwick aus mit modernsten A330 Airbussen nach Afrika. So konnten wir und unsere Begleiter erst noch einen ganzen Tag in London verbringen und dort Silvester feiern. Ein Neffe mit seiner Frau, die uns begleiteten, hatten diese grosse Stadt noch nie gesehen. Es war bitter kalt, doch wunderschönes Winterwetter, als wir mit ihnen die roten zweistöckigen Busse und die Untergrundbahn ausprobierten. Wir stellten ihnen den Buckingham Palace, die Tower Bridge, den Big Ben und die St. Pauls Cathedral vor.

Am Neujahrstag setzten wir unsere Reise fort. Beim Abheben von Gatwick staunten wir über den riesigen Verkehr auf den englischen Flugplätzen. Im Vergleich dazu kam uns Kloten am Vortag wie ausgestorben vor. Der Flug dauerte fast sechs Stunden. "Da ist ja kaum eine Landepiste zu sehen!", bemerkten unsere Reisegefährten beim Landen in Banjul, der Hauptstadt von Gambia. "Das sieht ja aus, wie mitten auf dem Feld." Die Befürchtungen waren aber vergebens. Die Landung der "Monarch" verlief sehr sanft.

Beim Aussteigen überkommt mich ein kribbliges Gefühl und ich konnte meine Tränen kaum zurückhalten. Bald würde ich unsere Lieben in die Arme schliessen dürfen. Vorerst aber galt es, unser Gepäck zu finden, was fast ein Ding der Unmöglichkeit war. Erstens herrschte in Banjul eine grosse Hitze und zweitens ein riesiges Gedränge. Wie sollten wir überhaupt die Koffer vom Fliessband wegnehmen können? Eine dichte Menschenmauer, hauptsächlich aus Touristen bestehend, hatte sich vor uns aufgebaut. Plötzlich legte sich eine schwarze Hand auf meine Schultern und eine bekannte Stimme rief "Hallo Mama Simon!" Es war Kelefa, den wir bei seinem dreimonatigen Besuch in der Schweiz kennen gelernt hatten. Er stellte uns seinen "Bruder", einen Gambianischen Polizisten, vor. Durch ihn durfte er den Zollbereich überhaupt betreten. Von nun an ging alles wie am Schnürchen. Hinter dem "Bruder" marschierten wir unbehelligt an allen Zollbeamten vorbei, bis wir frische Luft schnuppern konnten. "Grosi!", tönte es plötzlich, und schon hatte sich ein kleines Mädchen an meinen Hals gehängt. Die Wiedersehensfreude war gross. Noemi stellte uns sofort auf Englisch ihre Freundin Abigail und danach auf Mandinka ihre Spielgefährtin Jeneba, ein Gambianisches Mädchen vor. Vor dem Flughafengebäude sahen wir uns plötzlich von einer Menge Bumsters umgeben. Das sind junge Leute, die, anstatt zu arbeiten, um Geld betteln. Unsere Begleiter zeigten erste Anzeichen eines massiven Kulturschockes. Höchste Zeit, alles in ein Auto zu packen und sich aus dem Staub zu machen!

Die erste Zeit wollten wir an der Küste verbringen und uns wie alle anderen Touristen ausruhen, sich am Strand tummeln und Sonne tanken. Im Schatten von Kokospalmen zu liegen, am Meer entlang zu spazieren oder in die hohen Wellen zu springen gehörte zu den Hauptbeschäftigungen der ersten Tage. Danach ging's ins Landesinnere, wo das Afrikanische Leben auch wirklich stattfindet. Auf löchrigen Strassen erreichten wir nach einstündiger Fahrt den Ort Sibanor. Simon und Franziska arbeiten dort in einem Missionsspital der WEC International (Weltweiter Einsatz für Christus). Das Spital wird nun von den Gambianern übernommen und steht in einem interessanten Ablösungsprozess.

Afrikanische Gastfreundschaft

Kelefa, der Mann, der uns am Flugplatz abgeholt hatte, besitzt ein Haus in der Nähe der Klinik. Einen Teil davon hat er an unsern Sohn Simon vermietet. In der anderen Hälfte wohnt er selber mit seiner Frau und den vier Kindern. So sind wir auch seine Gäste und werden mit grossem Hallo willkommen geheissen. Dazu gehört, dass seine Frau für uns ein Mittagessen kocht. Als besondere Aufmerksamkeit geht Kelefa in der Nacht auf die Jagd und erlegt eine grosse Buschkatze. Diese wurde uns am nächsten Tag zusammen mit Reis und einer pikanten Sauce in einer grossen Blechschüssel serviert. Nach Afrikanischer Art liessen wir uns das Festmahl, gemeinsam aus einer einzigen Schale, schmecken.

Die Frauen kochen ihre Mahlzeiten am offenen Feuer im Freien. Das Fleisch ist meistens ganz frisch, das heisst, es rennt oder schwimmt noch herum, bevor es einige Stunden später im Kochtopf landet. An einem anderen Tag jagten die Kinder im Kassavafeld ein Huhn, allen voran Noemi. Sie tollt den ganzen Tag mit den Nachbarskindern herum. Am liebsten isst sie Fisch und ihre Lieblingsbeschäftigung ist das Entschuppen der Fische.  "Gell Mami, das darf ich dann auch in der Schweiz tun?", fragte sie. Franziska aber ist sich nicht sicher, ob man heutzutage in der Schweiz überhaupt noch unverarbeiteten Fisch kaufen kann. Auf alle Fälle macht sie ihre Tochter darauf aufmerksam, dass sich nach ihrer Rückkehr ins zivilisierte Leben einiges ändern würde.

"Grüssen" ist eine wichtige Sache in Gambia. Es hatte sich im Dorf herumgesprochen, dass Verwandte von Simon und Franziska auf Besuch seien. Immer wieder erschienen Frauen und Männer um uns willkommen zu heissen. Am Anfang gab ich mir grosse Mühe, die verschiedenen Grussformen und ihre Antworten zu lernen. Aber viel mehr als "Salam Alaikum" und "Alaikum Salam" konnte ich nicht in meinem Kopf behalten. Nun sind unsere Afrikaferien vorbei. Es waren vier Wochen in einer anderen Welt, eine Welt, die uns zwar fremd ist, von der wir aber sehr viel lernen können.

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